Dissoziative Störungen und Konversion

Trauma und Traumabehandlung

Peter Fiedler

Uni Heidelberg

3-621-27494-4





Dissoziation und Konversion sind natürliche menschliche Verarbeitungs- und Bewältigungsmechanismen nach traumatischen Erlebnissen.

Während dissoziative Störungen sonst mehr im Kontext diverser seelischer Erkrankungen angesprochen und leider zuweilen geringschätzend dargestellt werden, hat Prof. Dr. Peter Fiedler, Universität Heidelberg ein umfassendes Lehrbuch zusammengestellt, das einen Überblick bietet über die einzelnen dissoziativen Störungen und Konversionsstörungen. Er beschreibt diese im Rahmen der bisherigen empirischen Erkenntisse ausführlich und behält dabei eine empathische, aber keineswegs kritiklose Haltung bei.

Bereits eine Seite vor dem Vorwort wird eine leise und humorvolle Kritik deutlich an den eher theoretisch orientierten psychoanalytischen Ansätzen gegenüber den empirisch begründeten verhaltenstherapeutischen Theorien, welche im Vorwort lauter wird.. Denn dort bezieht Peter Fiedler eine unmißverständliche Position gegenüber abwertenden Darstellungen traumatisierter Menschen. Wir empfinden dies als eine Genugtuung und als eine Einladung, weiterzulesen.

Das Lehrbuch ist gegliedert in 12 Kapitel, die inhaltlich eng miteinander verbunden sind. Dabei wird der Dissoziativen Identitätsstörung in verschiedenen Aspekten verhältnismäßig viel Raum gegeben.

Nach einer Einleitung und damit einer Übersicht der im folgenden beschriebenen Störungsbilder wird man erst einmal in die Vergangenheit geführt zu den Anfängen der Hysterie und zurück über die Auflösung des Hysteriekonzepts in die Gegenwart zum aktuellen Stand der empirischen Forschung.

Und bevor es nun den eigentlichen Störungen geht, werden im 3. Kapitel die Übergnänge zwischen "normaler" Dissoziation diskutiert und den dissoziativen Störungen.Das Kontinium, an dessen Ende die Dissoziative Identitätsstörung steht.

Das 4. Kapitel ist den neuro- und biopsychologischen Grundlagen in bezug auf die Leistung des Gedächtnis mit oder ohne Dissoziation gewidmet und umfaßt 50 Seiten. Uns ist kein anderes Lehrbuch bekannt, das diesen Bereich so umfassend behandelt.Innerhalb dieses Kapitels wird auch das False-Memory-Syndrom angesprochen und hinterfragt. Die Vorstellung und der Begriff der falschen Erinnerung wird hier als "viel zu grob" bezeichnet anbetracht der komplexen Vorgänge des Gedächtnisses. Es wird aber auch kritisiert und wir meinen auch zurecht, warum es therapeutischen Gespräch notwenig sein solle, nicht erinnerbare Details hervorzuzerren,selbst wenn eindeutig feststeht, daß ein sexueller Mißbrauch zweifelsohne stattgefunden habe und auch belegbar sei. Während es hierbei mehr um eine grundsätzliche Frage ging, ob "falsche" Erinnerungen möglich seien, vermissen wir dennoch einen wenigstens kurzen Hinweis auf die ursprüngliche dem False-Memory-Syndrom zugrundeliegende Intention. Auch vermissen wir ein wenig eine Darstellung der Auswirkungen traumatischer und dabei besonders auch sehr früher Erfahrungen auf die einzelnen betroffenen Funktionen des Gehirns auch im Hinblick auf eine mögliche Zweckmäßigkeit eines gezielten Einsatzes bestimmter geeigneter körpertherapeutischer Verfahren. Aber auch in bezug auf die alltägliche Bedeutung einer durch die ursprünglich ja zum Schutz hilfreiche Dissoziation mitverursachter ständiger Übererregung.

Das 5. Kapitel beinhaltet die verschiedenen Formen der Posttraumatischen Belastungsstörungen sowie Inhalte deren Bewältigung und Therapie. Darauffolgend befaßt sich das nächste Kapitel mit der Dissoziativen Amnesie und der Dissoziativen Fogue, deren Diagnostik, Ursachen und Behandlung.

Die Dissoziative Identitätsstörung erhält, neben der sonstigen Betrachtung ein recht umfangreiches Kapitel für sich neben der Beschreibung an sich, auch des Konzeptes der Multiplen Persönlichkeitsstörung im ICD 10, nehmen die Differenzialdiagnostik und die Komorbidität ein weites Feld ein. Die Dissoziative Identitätsstörung wird hier als eine eigenständige dissoziative Störung aufgefaßt, die aber keinesfalls isoliert auftritt. Die verschiedenen Bestrebungen der Disskussion in diesem Zusammenhang um die Borderline- Persönlichkeitsstörung ist recht ausführlich Die um die Komorbidität zur Schizotypie und den damit zusammenh6auml;ngenden Schwierigkeiten würden wir uns ausführlicher wünschen. Aber auch eine zunehmende Forschung in diese Richtung, sowie hinsichtlich der Frage, ob nicht auch an sich schon die Schizotypie bei einem Teil davon Betroffener auch traumatisch bedingt sein kann. Das wird hier mehr kurz angerissen. Es werden verschiedene Ansätze und Möglichkeiten, aber auch Grundbedingunen für die Therapie der DIS aufgeführt. Auch EMDR wird hier erwähnt, aber in Zusammenhang mit der DIS zum jetzigen Stand eher skeptisch betrachtet.

Im Anschluß daran wird die Depersonalisationsstörung in bezug auf Traumatisierung und Abgrenzung z.B. bei Alkohol- und Dogenabhängigkeit oder auch diversen psychiatrischen Erkrankungen beschrieben. Logisch darauf folgend werden die körperlich erlebaren dissoziativen Störungen (Konversion) und die Somatisierung dargestellt, wobei Peter Fiedler beides nicht konzeptionell vermischt sehen will. Zu den Konversionsstörungen werden hier gezählt die Dissoziative Bewegungsstörungen, die Dissoziative Sensibilitäts- und Empfindungsstörungen, der dissoziative Stupor und dissoziative Krampfanfälle. Desweiteren empfielt der Autor hier eine genaue Diagnosestellung in Hinblick auf Somatoforme Störungen, auch zum Vorleigen eine Depression und natürlich einer organischen Erkrankung.

Über weniger bekannten kulturangängigen und sonstigen dissoziativen Störungen wie z.B. Trance- und Besessenheitszustände oder aber Scheinschwangerschaft erhält man dann  ebenso Informationen wie nachfolgend über vorgetäuschte Störungen und Simulation.. Ein Beispiel für die vorgetäuschten Störungen ist hier das Münchhausen-by-proxy- Syndrom, einer Störung, bei der meist Mütter bei ihren Kindern stellvertretend für sich selbst eben leichtere oder u.a. invalidisierende Symptome oder auch wirkliche dauerhafte Schäden zufügen und dann mit ihren Kindern zum Arzt gehen um so von diesem Zuwendung zu erhalten. Aber auch die Simulation von verschiedenen psychiatrischen Erkrankungen und Störungen wird hier, allerdings erfreulicherweise sehr kritisch hinterfragt und entsprechend der biherigen empirischen Befunde belegt. Sehr empfehlenswert in diesem Lehrbuch finden wir den Hinweis bezüglich der Simulation der Dissoziativen Identitätsstörng gemäß den ja leider nicht so seltenen bekannten Klischees. Denn in bezug auf die DIS gibt es vor allem die Simulation eines intakten Gedächtnisses und ein gekonntes Verbergen der Störung ! Ein wesentlicher Hinweis, der auf die Situation vieler multipler Persönlichkeiten hinweist, denen keinesfalls an einer Enttarnung gelegen ist. Zudem belegt dies auch von uns nebenbei bemerkt, daß Multiple eben keineswegs die eher unfähigen, weil durchschaubaren Theaterschauspieler sind, um es salopp auszudrücken, die ihre Symptome nach außen hin demonstrativ inszenieren wollen. Da dem eben so gar nicht ist, finden auch wir leider nach wie vor diesen Hinweis erforderlich.

Eine entsprechende Kritik findet sich nun abschließend wie bereits im Vorwort erneut am Ende des Buches neben einer Zusammenfassung der Therapierichtlinien bei dissoziativen Störungen. Wir meinen allerdings auch trotz verschiedener Psychoanalytiker, die einen besonderen Drang zur Geringschätzung und Ausdeutung von dissoziativen Störungen und anderen Traumastörungen öffentlich machen, daß man deshalb im klinischen Alltag von psychoanalytisch geschulten Therapeuten nicht unbedingt dementsprechend geringschätziger behandelt wird, schließlich und wir finden diese offene Ablehnung der Psychoanalyse hier insgesamt in sich ein wenig überzogen, wenngleich wir uns über die genannten Argumente hinsichtlich traumatisierter PatientInnen natürlich freuen, ist z.B. der Leiter des deutschen Instituts für Psychotraumatologie, Prof. Dr. Gottfried Fischer ebenso Psychoanalytiker.

Auch wenn wir uns einige Themen wie im einzelnen bereits benannt gerne etwas ausführlicher gewünscht hätten, so meinen wir, daß dieses Lehrbuch einen unverzichtbarer Bestanteil des Psychologiestudiums sein sollte und gerade im Hinblick auf traumabedingte Störungen Pflichtlektüre. Es vermittelt eine gleichbleibende wohlwollende und freundliche Haltung und zuweilen auch offene Parteilichkeit gegenüber traumatisierten Menschen, die wir sonst zuweilen bei anderen Autoren vermissen.





Monika Kreusel

Zuletzt aktualisiert am 20.09.2005

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